Dort, am Geschäftshaus der Großeltern Gustav und Sophie Müller, begann am 19. Oktober 2024 eine interessante Spurensuche zur politischen und geistlichen Entwicklung Niemöllers.
Reiner Ströver aus Ibbenbüren-Laggenbeck, der 17 Jahre lang Pfarrer an der Stadtkirche Westerkappeln war, begrüßte die Gäste am ehemaligen „Textilhaus Müller“ und riss einige Lebensabschnitte Niemöllers an. Dieser hatte seine Großeltern oft besucht und wohnte nach seiner Heirat mit Else Bremer im Jahr 1919 eine Zeitlang in dem repräsentativen Haus. Die Bustour zu fünf seiner Lebensstationen machte anschließend Halt auf dem Hof Wieligmann in Sennlich. Der landwirtschaftliche Betrieb spielte im Leben Niemöllers eine bedeutende Rolle. Da er Bauer werden wollte, verdingte er sich dort als Knecht. Im Rückblick bezeichnete er diesen Abschnitt trotz harter Arbeit als eine der „schönsten Zeiten seines Lebens“.
Der Traum vom eigenen Hof platzte jedoch, weil die Ersparnisse der jungen Eheleute für einen Kauf nicht ausreichten. Martin Niemöller beschloss daraufhin, Theologie zu studieren. Seine Gattin vertiefte sich in Bibelstudien, um ihrem Mann eine gute Pfarrfrau zu sein. 1931 trat er eine Stelle als Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Dahlem an. In Staat und Kirche war er nicht unumstritten, seine Lebensleistung werde auch kritisch gesehen, stellte Ströver fest.
Zahlreiche widersprüchliche Handlungen und Äußerungen in Reden oder Vorträgen führten dazu, dass sein Werk kontrovers diskutiert wird. So war er in den 1920er und frühen 1930er Jahren Mitglied rechter und antisemitischer politischer Organisationen. Er tolerierte zunächst die NSDAP, geriet jedoch später in Konflikt mit dem Regime. Im Herbst 1933 rief er den "Pfarrernotbund" mit ins Leben und wandte sich gegen den „Arierparagraphen“ in der Kirche. Daraus entstand 1934 die „Bekennende Kirche“. Niemöller wird heute als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des kirchlichen Widerstands angesehen.
Auf dem Jüdischen Friedhof am Gabelin in Westerkappeln sind 49 Grabsteine erhalten, die an die jüdische Bevölkerung des Ortes erinnern. Die letzte Beerdigung erfolgte 1937. In einem Zeitschriftenartikel beschrieb Niemöller 1973, wie er schon als kleiner Junge hier vorbeikam, wenn er bei den Großeltern zu Besuch war. Vom frühen Antisemitismus distanzierte er sich später. Er gehörte zu den Unterzeichnern der „Stuttgarter Schulderklärung“ vom 19. Oktober 1945, in der sich die Kirchen zur Mitverantwortung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, auch gegenüber der jüdischen Bevölkerung, bekannten.
Nach Kriegsende übernahm Niemöller leitende Ämter innerhalb der evangelischen Kirche, auch auf internationaler Ebene. Seine streitbare Persönlichkeit machte ihm in Politik und Gesellschaft nicht nur Freunde. Den Wandel vom Militaristen – er war kaiserlicher Marineoffizier und U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg - zum Pazifisten und vom Antisemiten zum Judenfreund sahen viele Menschen kritisch.
Auf dem Alten Friedhof in Lotte-Wersen hielt die Gruppe am Familiengrab inne und sprach das Vaterunser. Martin Niemöller hatte den Wunsch geäußert, hier begraben zu werden. „Was würde Jesus dazu sagen?“ sei stets seine Grundfrage gewesen, sagte Ströver. Die von jungen Bürgern 1982 beantragte Ehrenbürgerschaft verwehrte ihm allerdings der Gemeinderat. Im Martin-Niemöller-Haus in Velpe schilderte Pfarrer i. R. Horst-Dieter Beck persönliche Begegnungen, die ihn mit der „weltberühmten Persönlichkeit“ verbanden. Da die hiesige Verwandtschaft seine Haltung ablehnte, wohnte er oft im Pfarrhaus und führte mit Beck lange Diskussionen. „Viele seiner Handlungen, auch sein Wirken in der Friedensbewegung, wurden in Deutschland nicht verstanden“, bedauerte der Pfarrer.
Bericht: Brigitte Striehn