„Aktuell gerät unsere Demokratie vor dem Hintergrund der multiplen Krisen in unserer Gesellschaft und der globalpolitischen Lage spürbar unter Druck“, so seine Einschätzung. „Es wächst die Zahl derer, gerade in der jüngeren Bevölkerung, die von der Demokratie keine Lösung der Probleme mehr erwartet. Umso deutlicher muss deshalb gemacht werden, dass unser demokratisches Staatswesen den Erfahrungen von Totalitarismus und tiefster Beschädigung der Menschenwürde abgerungen ist“, unterstreicht er. „Die Demonstrationen zur Verteidigung der Demokratie und gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, die in diesem Frühjahr im Tecklenburger Land stattfanden, waren ein ermutigendes Zeichen“, so Ost weiter. Viele Kirchengemeinden des Kirchenkreises hätten sich daran beteiligt. Die Kirche sei ein Demokratieträger. In ihrer presbyterial-synodalen Struktur bilde sich ein Demokratieideal ab. Demokratie brauche die wirksame Unterstützung und das Bekenntnis der Bevölkerung. „Auch eine kleiner werdende Kirche ist auf eine breite Mitwirkungsbasis angewiesen“, unterstreicht Ost. Die diesjährigen Jubiläen „75 Jahre Grundgesetz“ und das 90 Jahre Barmer Theologische Erklärung seien erinnernswert. „Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland macht uns deutlich, dass unser Gemeinwesen auf Grundprinzipien aufbaut, die einerseits auf leidvollen Erfahrungen der Geschichte beruhen, gleichzeitig aber auch Auftrag sind, sie in den wechselvollen Phasen der weiteren Geschichte zu schützen“, betont der Superintendent. Die Barmer Theologische Erklärung warne die Kirche bis heute vor der unkritischen Übernahme von Zeitgeist-Strömungen und weise auf den Kernauftrag von Kirche hin. „Sie mahnt, wann im Sinne des Evangeliums Widerspruch notwendig ist“, so der Superintendent.
Resolution für Demokratie, Toleranz und Vielfalt
Für dieses Anliegen macht sich auch der Ausschuss für gesellschaftliche Verantwortung (AgV) im Kirchenkreis Tecklenburg stark: In einer der Synode vorliegenden Resolution für Demokratie, Toleranz und Vielfalt werden alle Menschen in Kirchen, Vereinen, Verbänden und Organisationen dazu aufgerufen, menschenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Worten und Taten zu widersprechen. Der Appell des Ausschusses: „Zum Einsatz für eine plurale Demokratie gehört, dass wir Vielfalt leben und aushalten. Es liegt an unser aller Verantwortung, an der Stärkung der Demokratie mitzuwirken und für ein friedliches Miteinander einzutreten!“ Die Synodalen werden im Rahmen ihrer Tagung über die Resolution abstimmen.
Die Krise als Normalzustand
„Ich vermute, dass uns das Gefühl, in einem permanenten Umbruchprozess zu sein, der uns frühere Sicherheiten nimmt und ständig vor neue Herausforderungen stellt, nicht mehr verlassen wird“, macht André Ost in seinem Bericht deutlich. Seit 2020 sei Dauerkrise angesagt, durch Pandemie und Kriegsgeschehen in der Ukraine und in Nahost und allen damit verbundenen Auswirkungen für Gesellschaft und Kirche. „Niemand wird mehr sagen können, das geht uns nichts an und berührt uns nicht“, ist er sich sicher. Der Mitgliederschwund der Kirche schlage auf die Finanzkraft durch, weil die Entwicklung nicht mehr durch eine konjunkturbedingte Kirchensteuereinnahme kompensiert werde. „Jetzt sind die notwendigen Strukturanpassungen tatsächlich unausweichlich. Jetzt beginnt uns die Haushaltslage so sehr zu drücken, dass wir Sparmaßnahmen vornehmen und Prioritäten setzen müssen“ so André Ost. Das werde unausweichlich Folgen haben für den Bestand an Gebäuden, die Gestaltungskraft und das Leitungshandeln. Für die Haushaltsplanung 2025 werde in der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) mit einem Kirchensteuerrückgang von -3,5 % gegenüber dem Planjahr 2024 kalkuliert. Die EKvW selbst habe gleichzeitig ein Führungs-, Haushalts- und Personalproblem zu bewältigen. Nicht nur das Präsesamt sei neu zu besetzen, auch der landeskirchliche Haushalt gerate in Schieflage. Es tue sich ein Haushaltsloch von 8,7 Mio. € auf, das durch kleinere Korrekturen nicht mehr zu stopfen sei. Die Situation erfordere ein Haushaltssicherungskonzept für den landeskirchlichen 9 %-Haushalt.
Zukunftswerkstatt für den Kirchenkreis
„Die Diskussion um das landeskirchliche Haushaltssicherungskonzept hat gerade erst deutlich gemacht, dass Sparmaßnahmen ohne inhaltliche Grundentscheidungen kaum möglich sind“, so der Superintendent. „Es braucht einen vorgelagerten Strategieprozess, um sich bewusst zu machen, was wir als Kirche unter den immer deutlicher zu Tage tretenden Bedingungen der näheren Zukunft noch tun wollen und können und was wir in unserer Arbeit künftig deutlich reduzieren und verändern müssen. Dafür brauchen wir einen inhaltlichen Abstimmungsprozess. Diesen Weg wollen wir der Synode in Form einer Zukunftswerkstatt vorschlagen.“
Motivierende Beispiele regionaler Zusammenarbeit der Gemeinden
„Wir müssen einige Umbauarbeiten an unserer Kirche vollziehen und diese vor Ort in den Gemeinden vertreten“, sagt André Ost. Das sei nicht immer leicht, wie etwa Kirchen-schließungen in Ibbenbüren (Pauluszentrum) und in Recke (Gemeindezentrum Hopsten) zeigten. Die regionale Zusammenarbeit in den Kooperationsräumen sei ein Zeichen für wachsende Kooperationsbereitschaft über Gemeindegrenzen hinweg, so der Super-intendent. Er stelle fest, dass sich immer dann eine Dynamik und ein verstärkter Wille zur Zusammenarbeit entwickle, wenn die Kooperation in konkreten Projekten Gestalt gewinne: „Im Kooperationsraum Mitte-Nordost hat für 2024 ein mutiges Gottesdienstkonzept aufgesetzt, das die Gottesdienste in den sieben Kirchen der fünf Gemeinden sinnvoll aufeinander bezieht.“ Dem Presbyterium der Kirchengemeinde Ibbenbüren sei zum 1. April 2024 ein großer Wurf gelungen: Seine Pfarrbezirksgrenzen wurden zugunsten einer gesamtgemeindlichen Struktur aufgelöst. In der Region West habe man sich in vier Kirchen-gemeinden einmütig für die Stelle eines Verwaltungsmanagements als Teil des Interprofessionellen Pastoralteams (-IPT) entschieden. Dieses Pilotprojekt sei zunächst auf zwei Jahre befristet, berichtet Ost.
„Die Ermutigung aus der Erinnerung an das 90-jährige Jubiläum der Barmer Theologischen Erklärung besteht für mich darin, dass eine Kirche in der Bedrängnis ganz offenbar in der Lage ist, Antworten auf die Herausforderungen der Zeit zu geben und diese mutig in der Öffentlichkeit zu vertreten. In notwendiger Abgrenzung, Selbstbehauptung und Neuausrichtung kann sie sich neu finden, wenn sie sich konzentriert und auf den Kern ihrer Sache besinnt“, unterstreicht er.