Der langjährige Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vermittelte in seinem Vortrag unter dem Titel „Abschied von Pazifismus? – Herausforderungen an eine evangelische Friedensethik“ starke Impulse für die aktuelle Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine oder die Rechtfertigung militärischer Optionen zur Lösung transstaatlicher Konflikte.
Im Namen des Ausschusses für Theologie und Gemeinde des Evangelischen Kirchenkreises Tecklenburg begrüßte der Vorsitzende Christian Heinz die zahlreichen Besucher. Er stellte den Referenten vor, der 2008 zum ersten Friedensbeauftragten der EKD ernannt wurde und dieses Amt bis 2021 innehatte. Dass der Grünen-Politiker Robert Habeck in einem Podcast der Funke-Mediengruppe eine „grundpazifistische Haltung“ als „nicht praxistauglich“ einschätzte, ließ aufhorchen. Habeck hatte dies als einen „harten, bitteren Satz“ bezeichnet. Dennoch war Christian Heinz der Meinung, dass sich im politischen und friedensethischen Diskurs etwas verschoben habe.
Russland breche mit seinen Angriffen auf zivile Ziele in der Ukraine das Völkerrecht, so Brahms. Dies habe innerhalb der Evangelischen Kirche zu einer lebhaften Diskussion über eine „neue Friedensethik“ geführt. Es werde ein neuer Realismus abverlangt, der vom bisher im Vordergrund stehenden Pazifismus abrücke. In der aufgeheizten Debatte zwischen Befürwortern von Waffenlieferungen und deren Kontrahenten sei es schwer, eine differenzierte Meinung zu vertreten. „Pazifismus ist kein Wolkenkuckucksheim“, stellte der Referent fest.
„Die Evangelische Kirche orientiert sich am Leitbild des 'Gerechten Friedens', das in der Denkschrift des Rates der EKD aus dem Jahr 2007 festgelegt wurde“, erklärte er. Er nannte die grundlegenden Punkte und veranschaulichte den engen Zusammenhang zwischen Frieden, Gerechtigkeit, Recht, gemeinschaftlichem Wohlbefinden und Bildung. Weitere Dimensionen des Leitbildes seien die Förderung von Freiheit zu einem Leben in Würde, Förderung kultureller Vielfalt und Abbau von Not. Die Instrumente gewaltfreier Konfliktlösung würden bisher nicht zufriedenstellend ausgeschöpft, hob Brahms hervor. Er benannte auch Fehleinschätzungen, beispielsweise im Zuge der Osterweiterung der NATO.
„Es geht nicht, dass im Widerspruch zum Grundgesetz und der Charta der Vereinten Nationen über 'Kriegstüchtigkeit' geredet wird, 'Friedensfähigkeit' und 'Demokratietüchtigkeit' aber vernachlässigt werden“, so der Redner. Dies sei eine Beleidigung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, warf Pfarrer i. R. Detlef Salomo, der Friedensbeauftragte im Kirchenkreis Tecklenburg, dazu ein. „Da werden Gesinnungen wach, die wir nicht wollen“, sagte er. Sowohl die Verfechter eines „unbedingten Pazifismus“ als auch die Gegenseite müssten Argumenten anderer gegenüber offen sein.
In der ausführlichen Diskussion griffen die Fragesteller einige Punkte des Vortrags auf. Den Hinweis auf die Bergpredigt beantwortete Brahms mit der Feststellung, dass die Bibel Christen keinen Auftrag zu unbedingtem Pazifismus erteile, jedoch alle Möglichkeiten zum Ausbrechen aus der Gewaltspirale genutzt werden müssten. Er ging auch auf kritische Anmerkungen ein. Wie der Ukrainekrieg ende, sei derzeit nicht absehbar, gab er zu. Die Aufarbeitung der Geschichte werde in Russland vernachlässigt, sagte eine Teilnehmerin, Brahms bestätigte dies.
Die nukleare Bedrohung war ebenso Thema wie theologische, wirtschaftliche und geopolitische Aspekte oder Wege zu einem globalen Frieden unter Berücksichtigung des Klimawandels. Es werde im nächsten Jahr eine Orientierungsschrift zur Friedensdenkschrift von 2007 geben, kündigte André Ost, Superintendent des Kirchenkreises Tecklenburg, an. Er dankte Renke Brahms für die Ausführungen zu einem gesellschaftlich kontrovers behandelten Thema und schloss den Abend mit einem Gebet für den Frieden.
Bericht: Brigitte Striehn