Gast war Dr. Johannes Ludwig, der für diesen Abend aus Limburg angereist war. Er ist im dortigen Bistum als Referent für globale Vernetzung und Solidarität tätig. Der Politikwissenschaftler hat sich intensiv mit der Friedensbewegung beschäftigt, ihrer gegenwärtigen Entwicklung und ihrem künftigen Weg. Im vergangenen Herbst erschien sein Buch: „Abschied vom Pazifismus? Wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann.“
Angesichts einer kritischen Weltlage und einem Krieg in Europa macht sich der Autor Sorgen um die Friedensbewegung, deren Stimme „am dringendsten gehört werden müsste“. Der russische Angriffskrieg mit den brutalen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, hat das europäische Sicherheitsgefüge zerstört und eine „Zeitenwende“ ausgelöst, zu der sich eine neue Rhetorik gesellt: Aufrüstung, Abschreckung, Verteidigung, Wehrhaftigkeit, Kriegstüchtigkeit. Die Zeichen stehen auf Militarisierung, so Ludwig. Aber die Friedensbewegung hat nicht nur Mühe in der Öffentlichkeit mit einem klaren Profil zu wirken, sie steckt auch in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise, durch den Einfluss rechtsextremer und populistischer Gruppierungen. Das zeigten die jüngsten Demonstrationen mit zahlreichen Russlandflaggen, unrealistischen Forderungen nach Verhandlungen, dem Narrativ einer Täter – Opfer – Umkehr und nur schwachen Solidaritätsbekundungen mit der ukrainischen Bevölkerung. Das ist eine der Hauptkritik Ludwigs am gegenwärtigen Zustand der Friedensbewegung. Denn dadurch verschwindet das Friedensanliegen hinter Populismus, Desinformation und Polarisierung.
Der Referent mahnt ausdrücklich, dass in den Diskussionen das Entscheidende nicht untergehen sollte: Der Blick auf die Leidtragenden des Krieges, die Opfer der Aggression, die vielen Menschen in der Ukraine, die Schutz und Hilfe brauchen, die täglich um ihr Leben bangen. Die Friedensbewegung sollte gerade diese existentielle Perspektive im Auge behalten. Als Anwalt der Betroffenen kann man nicht aus einem sicheren Land den Ukrainern Gewaltlosigkeit empfehlen. Das wäre ein verantwortungsloser Pazifismus, der das Unrecht geschehen lässt. Wirklicher Pazifismus ist situationsbedingt, realitätsgerecht und in der Menschenwürde verankert.
Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a. D. plädiert im Geleitwort des Buches für einen „nüchternen Pazifismus“. Deshalb gibt es auch für die Friedensbewegung eine Zeitenwende: Sie steht vor der Aufgabe, alte Grundsätze, etwa „Frieden schaffen ohne Waffen“ kritisch zu überdenken, sich vertieft mit der Friedensethik auseinanderzusetzen und sie zu aktualisieren. Dazu zählt auch eine Erinnerung an die historischen Wurzeln der Friedensbewegung, der Ludwig ein Kapitel widmet, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, mit zahlreichen Vorbildern im Kampf gegen Krieg und Gewalt, mit beachtlichen Erfolgen, etwa beim Verbot von Landminen und Streumunition.
Der Friedensbewegung kann die Wende gelingen, wenn sie sich inhaltlich neu positioniert und eine Friedenskonzeption entwickelt, die überzeugt, aber nicht polarisiert, die eine Mehrheit um sich sammelt, aber nicht spaltet. Damit der Generationenwechsel gelingt, müssten auch jüngere Menschen motiviert werden – wie bei „Fridays for Future“ – sich wieder stärker für den Frieden zu engagieren. Deshalb sollte man nicht nur über Gefahren sprechen, sondern – so Ludwig – die „Attraktivität des Friedens vor Augen führen“. Ludwig will mit seinem lesenswerten Buch der Friedensbewegung zu einem neuen Aufschwung verhelfen in einer krisengeschüttelten Zeit, in der sie so notwendig gebraucht wird, wie schon lange nicht mehr.
Die nachdenklichen Beiträge zur Diskussion nach den Lesungen waren von Befürchtungen und Sorgen bestimmt, möglichen Gefahren und Bedrohungen. Es blieben viele Fragen offen an diesem bewegenden Abend. Der Referent erhielt als Zeichen des Dankes für seinen Besuch in Lotte vom Gastgeber einen edlen Tropfen, den guten alten Stiftungswein und kulinarische Spezialitäten aus Westfalen.
Bericht: Detlef Salomo, Friedensbeauftragter im Kirchenkreis Tecklenburg.