Bereits zur Ankunft vor der Kirche und dann beim Einzug stimmten die Pilger*innen beschwingte Gospelgesänge an, und Kirchenmusiker Jens Niemann begleitete die Feier am Flügel. Die Predigtimpulse von Schwegmann-Beisel und Ost stellten die Friedensarbeit und das Friedensgedenken in Osnabrück in den Mittelpunkt. Im vergangenen Jahr hatte der Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb 1648 weiß angemalte Heugabeln vor dem Rathaus der Friedensstadt zum überdimensionalen Mahnmal aufgetürmt. Die Zinken der Heugabeln stecken jeweils in einem Stück Holz, das 400 Jahre alt ist und den Dreißigjährigen Krieg miterlebt hat. „Die Heugabeln stehen als Zeichen für den Widerstand in der Bevölkerung, die wegen der Opfer durch Plünderungen oder Brandschatzungen die eigentlich Leidtragenden des Krieges waren“, sagte Guido Schwegmann-Beisel. Es werde auch deutlich, dass Frieden bei den Menschen im Alltag anfange. „Und er macht richtig Arbeit“, betonte er. Das sei auch die Brücke zu Jesus Christus, der ein Herz für alle Menschen hatte, „da finden wir ihn.“
André Ost bezog sich in seiner Ansprache auf das Kunstwerk „Osnabrücker Friedensreiter“, ebenfalls von Volker-Johannes Trieb gestaltet, das auch im westfälischen Lengerich zu finden ist. Dort war die vorherige Station der Pilger*innen gewesen. Anhand der Friedensreiter, die immer wieder auf der Strecke zwischen Osnabrück und Münster unterwegs gewesen seien und während der lange andauernden Verhandlungen vor dem Schluss des Westfälischen Friedens, werde deutlich: „Frieden braucht Zeit“, erklärte Ost. Gottes Wille für die Menschen sei Frieden, lautete sein Appell.
Mit dem Thema „Frieden und Freiheit“ hatten die Pilger*innen an allen vier Tagen besondere Aufmerksamkeit auf die Menschenrechte gelegt. Gerade die Situation von Frauen im Iran stand immer wieder im Fokus. So wurde im Gottesdienst eine Kerze entzündet in Erinnerung an Zhina Mahsa Amini, eine kurdische Iranerin, die nach ihrem gewaltsamen Tod weltweit bekannt geworden war. Wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hidschāb-Gesetz war sie von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, geschlagen und dabei getötet worden. Am Tag vor dem Gottesdienst in Hasbergen wäre ihr 25. Geburtstag gewesen. Das Thema der Frauenrechte im Iran war einer Gruppe von Pilger*innen wichtig, die persisch-iranische Wurzeln haben.
Nach dem Gottesdienst lud die Christuskirchengemeinde die Teilnehmenden zum Essen von leckerem Flammkuchen ein. So konnte die Gruppe an Seele und Leib gestärkt die letzten acht Kilometer des insgesamt 74 Kilometer langen Weges zum Zielort Friedenssaal in Osnabrück gut bewältigen. Dort folgte ein Empfang der Stadt Osnabrück durch die Stadträtin Anke Jacobsen.
Organisiert hatten den Friedenspilgerweg das oikos-Institut für Mission und Ökumene der Evangelischen Kirche von Westfalen, die Evangelische Erwachsenenbildung Münster, der Evangelisch-lutherische Kirchenkreis Münster, der Evangelisch-lutherische Kirchenkreis Tecklenburg, die Katholische Gemeinde Lengerich, der Evangelisch-lutherische Kirchenkreis Osnabrück und der Friedensort Osnabrück/FO:OS.
Resümees von Teilnehmenden:
Gemeinsam mit den Pilger*innen unterwegs war Pastor Matthias Binder vom Friedensort Osnabrück/FO:OS, der am letzten Tag auf dem Weg Resümees von Teilnehmenden festgehalten hat.
Neda aus Paderborn:
Das ist so schön, dass wir als ganze Familie mitlaufen. Mein Mann Reza (62 Jahre) und unsere beiden Töchter Farima (30) und Fatima (38) sind auch dabei. Für meinen Mann und mich ist es das zweite Mal. Wir sind denselben Weg von Münster nach Osnabrück gelaufen, aber es war wieder ganz anders. Ich habe Schmerzen, seit dem ersten Tag, das viele Laufen. Aber das ist egal. Ich habe viele Leute kennen gelernt und das tut gut. Wir sind in diesen wenigen Tagen „wie eine Familie“ geworden.
Fatima (38 Jahre) aus Paderborn, Inhaberin eines Friseur-Salons, hat ihre Ausbildung und ihren Meisterin-Brief in Deutschland absolviert:
Dieser Pilgerweg lässt mich erleben, dass Menschen zusammenfinden können. Im Alltag gibt es viele Hürden, um Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu erfahren. Die Bürokratie macht es mir so oft nicht leicht, meinen Weg zu gehen. Davon wissen viele Menschen in Deutschland nichts. Unsere Vergangenheit ist wie ein schwerer Rucksack, aber wir haben gelernt, nach vorne zu schauen. Dieser Pilgerweg gibt mir Hoffnung und Kraft, dass es möglich ist, zusammen ein Ziel zu erreichen. Das geht nur gemeinsam. Dieser Pilgerweg ist nicht vergleichbar mit unserem über 50 Tage dauernden Weg unserer Flucht mit über 1000 Menschen über die Berge und auf Booten nach Europa. Bei diesem Weg von Münster nach Osnabrück haben wir uns mit den vielen Schicksalen im Kampf um Frieden und Gerechtigkeit verbunden. Wir konnten unsere Geschichten erzählen und haben erlebt, wie gut es tut, wenn jemand sich dafür interessiert und einfach zuhört.
Farima (30 Jahre):
Im Rückblick: Ich war kurz davor, nicht mitzukommen. Ich verliere Kraft, und bin nicht mehr die Farima von früher. Ich bin hier in Deutschland und leide unter der Ohnmacht, meinem Land, meinen Freundinnen und Freunden im Iran nicht helfen zu können. Sie machen so Schlimmes durch. Ich will ihnen helfen und kann nichts tun. Was ich tun kann, ist, hier in Deutschland, Euch zu erzählen, was dort passiert. Vielleicht ist das das, was ich tun kann. Ihr habt euch interessiert und zugehört. Meine Eltern und meine Schwestern waren auch auf dem Pilgerweg dabei. Die haben mich mitgezogen. Und jetzt habe ich mich wieder gespürt. Ich bin hier. Ich bin gesund, habe Hand, Mund und Stimme. Ich kann auch hier für die Menschen in meiner Heimat etwas tun: davon erzählen und es weitersagen. Ein Stück weit haben diese gemeinsamen Tage mich wieder einen Weg zum Frieden mit mir selbst erahnen und erfahren lassen.
Reza (62 Jahre) aus Paderborn:
Für mich waren das soo gute Tage. Wir haben wunderbare Menschen kennen gelernt. Wir (Iraner*nnen) mit unserer Lebensfreude konnten sogar N.N. (einen Mitpilgernden) zum Tanzen bringen. Das war großartig. Wir sind so. Voller Emotionen. Wir haben erlebt, dass andere sich von uns zur Lebensfreude „anstecken“ lassen. Zurückschauen lähmt. Wir müssen nach vorne schauen und das Leben aktiv gestalten. Das ist nicht leicht, aber nur so geht es.
Pfarrer Mehrdad Sepheri, Pfarrer für persischsprachige Christ*innen der Evangelischen Kirche von Westfalen, Paderborn:
Der westfälische Friedenspilgerweg lehrt, dass Frieden keine Grenzen kennt. Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen vereint das gemeinsame Streben nach Frieden. Der Weg steht für Solidarität und gegenseitigen Respekt, die entscheidend sind für ein friedliches Miteinander. Diese Werte sollten wir in unseren Alltag tragen, denn in der Gemeinschaft liegt die wahre Stärke. Ich bin zum zweiten Mal dabei und dennoch ist es keine bloße Wiederholung. Gleicher Weg, gleiches Ziel, aber andere Menschen und daher ganz „anders“. Uns verbindet die Hoffnung auf Frieden und die Überzeugung, dass wir dafür etwas tun können und auch dafür kämpfen müssen. Solidarität und gegenseitiger Respekt prägen diesen Pilgerweg.
Maryam, Ehefrau von Pfarrer Mehrdad Sepheri:
Ich bin seit 30 Jahren in Deutschland und habe jeden Tag Heimweh. Als ich nach neun Jahren wieder im Iran war, wurde ich als „nicht von hier“ angesprochen („Bist Du Ausländerin?“), obwohl ich Persisch sprach. Da merkte ich, dass es keinen Ort gibt, der für mich Heimat ist. Neben meiner Familie ist Jesus meine Heimat, egal wo ich bin. Er ist immer da. Ich bin zum zweiten Mal dabei und habe in der Pilgergruppe etwas von Heimat erlebt. Menschlichkeit und die Friedenssehnsucht verbinden uns. Frieden beginnt bei mir selbst.
Dirk, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen, (61 Jahre). Er hat viel Pilgererfahrung und ist Ausbilder bei Pilgerkursen:
Gemeinsam Pilgern verbindet und überwindet die eingeübten Grenzen zwischen Religionen und Kulturen. Jede Religion hat irgendeine Art von Pilgertradition. Beim gemeinsamen Unterwegssein kommt man dem ganz nahe, was es heißt, dass man einen anderen Menschen erst verstehen lernt, wenn man mindestens drei Meilen in seinen Mokassins gegangen ist.
Mechthild (65 Jahre):
Ich habe vielerlei Pilgererfahrung. Jeder Weg ist anders. Wenn ich meditative Stille und Ruhe brauche, pilgere ich allein. Dann kann ich mein eigenes Tempo suchen. Zu langsam zu laufen ist für mich anstrengender als etwas schneller zu laufen. In einer Gruppe stehen das Miteinander und die vielerlei Lebensgeschichten im Vordergrund. Das war hier der Schwerpunkt. Ich war gern dabei, musste allerdings nach dem zweiten Tag „aussteigen“, da es für mich nicht mehr weiter ging.
Regina (62 Jahre), viel Pilgererfahrung:
Frieden ist möglich mit allen Unterschieden von Sprache, Nationalität und Temperamenten. Gerne hätte ich noch mehr von allen erfahren. In meinem Alltag und meinen Zusammenhängen habe ich wenig Möglichkeiten, so viele Erfahrungen von Flucht, Unterdrückung und Leid aus erster Hand erzählt zu bekommen. Das macht für mich diesen Friedenspilgerweg aus und ist unschätzbar wertvoll. Das Ringen um Frieden ist ein Weg, bei dem es auch um Vergebung, Verzeihen und Versöhnung geht.
Hans-Jürgen (72 Jahre), Pilgererfahrung:
Diese Tage waren Balsam für meine Seele. Ich habe für mich viel mitgenommen. Die Gemeinschaft als solche tat mir gut. Spontane Fröhlichkeit ist sonst nicht so mein Ding. Ich wurde davon „angesteckt“. Ich habe meine und die Andersartigkeit der anderen wahrgenommen und gleichzeitig erlebt, dass ich dies akzeptieren kann.
Pfarrer Jean-Gottfried Mutombo (60 Jahre), oikos-Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen, Initiator und zum dritten Mal Mit-Organisator des Friedenspilgerwegs:
Wir laufen nicht nur gemeinsam diesen Weg von Münster nach Osnabrück. Wir haben eine politische Botschaft. Das ist gerade in dieser Zeit, in der es so viel Kriegsgeschehen, so viele Opfer weltweit von Gewalt und Unterdrückung und so viele Menschenrechtsverletzungen gibt, von großer Bedeutung. Durch die mitpilgernden Iraner*innen bekamen die Leidenden im Iran eine Stimme. Aus unserer Pilgergruppe sprach Farima auf dem Marktplatz in Lengerich von und für die Frauen und Männer im Iran, die unter großen Repressalien für Frieden und Freiheit kämpfen. Der „Wind der Freiheit“ weht an vielen Orten dieser Welt und diese Botschaft wollen wir weitersagen. Das ist vielleicht ein kleines und nicht spektakuläres Zeichen, das wir geben. Aber es ist ein wichtiges Zeichen des Friedens und der Hoffnung.
Pastor Matthias Binder (62 Jahre), Friedensort Osnabrück/FO:OS – Evangelisch-lutherischer Kirchenkreis Osnabrück
Das Motto des letztjährigen Osnabrücker Ökumenischen Kirchentags „Wege des Friedens“ wurde für mich auf diesem Friedenspilgerweg nochmals ganz anders und ganz neu konkret. Viele meiner Erfahrungen dieser vier Tage geben mir Übertragungshilfe auf die Frage „Wie geht Frieden“? Dazu einige meiner Schlüsselerkenntnisse (jeweils konkret und symbolisch zu verstehen): Frieden „geht“. Ohne „Dich-auf-den-Weg-zu-machen“ kommst du auch nicht an. Der Weg ist lang und mühsam. Allein schaffe ich es nicht. Schwierige Momente können (nur) gemeinsam überwunden werden. Die Energie einer Weggemeinschaft trägt mich weiter. Offensein für die ungeplanten und ungeahnten Perlen am Wegesrand. Es gibt auch „Müll“ auf dem Friedensweg. Wir können ihn auf dem Weg einsammeln und bewusst entsorgen. So haben wir uns am Freitag, 20. September, mit dem Global Strike Day verbunden und haben zwischen Gelmer und Ladbergen ca. 8 Kilo Müll am Wegesrand eingesammelt. Auch wenn das Ziel im Kopf schon feststeht, ist jeder einzelne Schritt dahin erst einmal zu tun. Und zwar Schritt für Schritt. Jede*r gibt sein*ihr Bestes. Schnelligkeit verliert ihre Dominanz. Auch Teiletappen sind Etappen. Sie erreicht zu haben („gegangen zu sein“) sind zu würdigende „Erfolge“. Alles hat seine Zeit: Schweigen, Trauern, Lachen, Warten, Tanzen, Erzählen, Zuhören, Rasten, Klagen, Aufbrechen, Anhalten, Warten, Träumen, Stimme erheben...
Dieser Pilgerweg hat meinen Horizont für die Situation im Iran erweitert und meine Überzeugung gestärkt, dass Wege des Friedens in echter Begegnung, im Gebet füreinander, im gemeinsamen (Wege-)Gehen und (Lebendwege-)Teilen zu suchen und zu finden sind.
Bericht: Öffentlichkeitsreferat Kirchenkreis Osnabrück.