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Gesellschaftlicher Diskurs ist gefragt - Lesung von Prof. Ewald Frie in Lotte

Auf großes Interesse stieß das Buch „Ein Hof und 11 Geschwister“ von Prof. Ewald Frie am 13. Februar in der evangelischen Kirchengemeinde Lotte. Im vollen Saal des Gemeindehauses „Arche“ las der Autor aus seinem Buch und lud zur Diskussion ein.

Der Untertitel „Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“ machte die Brisanz des mit dem Sachkundepreis 2023 ausgezeichneten schmalen Bands deutlich. Anhand der Kindheits- und Jugenderlebnisse seiner zehn Geschwister, die auf einem Bauernhof im katholisch geprägten Münsterland aufwuchsen, zeichnet er die gravierenden Veränderungen für bäuerliche Familien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach.

Die Entwicklung vom arbeitskraftintensiven vielfältigen bäuerlichen Familienbetrieb hin zum kapitalintensiven, spezialisierten Landwirtschaftsunternehmen brachte tiefgreifende Veränderungen für das Leben auf dem Lande mit sich: Das Verhältnis vom Hof zum Dorf, zwischen Bauer und Bäuerin, zwischen Eltern und Kinder, alles war im Fluss, teilweise wurde der Wandel als Bruch, aber auch als Öffnung und Befreiung erlebt.

In detailreichen Alltagsbeschreibungen nimmt der Autor, Historiker an der Uni Tübingen, an diesem Abend mit hinein in eine Welt, die vielen der Zuhörenden noch vertraut war: in eine Welt geprägt von Arbeit und Erschöpfung, von festgelegten Rollen und Erwartungen, sowie den modernen Einflüssen:  zum einen die Aufbruchstimmung in der katholischen Kirche, ausgelöst durch das 2. Vatikanische Konzil, die die Stärkung der Laien und die Entwicklung von demokratischen Strukturen unterstützte. Zum anderen auch die Jugendkultur der 60er Jahre, die alte Rollen infrage stellte und neues Freizeitverhalten mit sich brachte.

Zum Schluss des Buches und des Abends vergleicht der Historiker das Leben seines Vaters mit seinem eigenen: zum einen der bodenständige Bauer, der erfolgreich Rinder gezüchtet hat, der einen Hof und Ländereien, sowie eine eigene „Feuerstelle“ hat. Zum anderen der anerkannte Wissenschaftler, der eine Reihe von Veröffentlichungen vorzuweisen hat und sich mit dem Professorengehalt eine Wohnung in Tübingen leisten kann.

„Kann man diese verschiedenen Lebensformen miteinander vergleichen und eventuell sogar bewerten?“ fragt er sein Publikum und beendet den Abend mit der nüchternen These: jede gesellschaftliche Veränderung bringe Gewinn und Verlust mit sich. Der gesellschaftliche Diskurs darüber, ob mehr der Gewinn oder der Verlust überwiege, müsse offenbleiben.

Text: Martin Steinmann

 

 

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