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„Wir sind keine Straftäter, wir hatten uns nur ein Leben in Sicherheit erträumt“- Sebastian Nitschke referiert über das Leben in der Abschiebehaft

Die wenigsten Menschen in Deutschland wissen, wie Häftlinge in einem Abschiebegefängnis leben. Aufklärung zu diesem meist abseits der Öffentlichkeit behandelten Thema erhielten einige Zuhörerinnen am 12. Mai 2022 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus Westerkappeln.

Frauke Helmich, zweite Vorsitzende des Vereins Wabe - Hilfe für Flüchtlinge und Zuwanderer, begrüßte die Gäste. Sie beklagte eine Vielzahl rechtswidriger Urteile und die mitunter rigide Abschiebepraxis, die auch die Unterstützer erschüttere.

Sebastian Nitschke, Sozialarbeiter und Buchautor, sprach im Rahmen der Ausstellung „Menschen & Rechte sind unteilbar“ zu einem speziellen Aspekt der Thematik, der selten im Fokus gesellschaftlicher Meinungsbildung steht. Der Referent engagierte sich von 2017 bis 2020 bei „Community for all – Solidarische Gemeinschaft statt Abschiebegefängnisse“ in Darmstadt und erhielt Einblicke in das Leben in Einrichtungen, in denen ausreisepflichtige Asylbewerber untergebracht werden. Die von den Behörden angeführten Gründe zur Inhaftierung seien oft bürokratischer Natur und nur vorgeschoben: Untertauchen, Identitätstäuschung, unerlaubter Wohnortwechsel, fehlende Mitwirkung zur Passbeschaffungspflicht.

Ziel der Aktivisten sei es nicht, die Abschiebehaft humaner zu machen, sondern sie ersatzlos abzuschaffen, so Nitschke. Sie besuchen die Inhaftierten, vermitteln ihnen Anwälte und führen Interviews. Ergebnisse dieser Tätigkeit hat er für sein Studium der Sozialen Arbeit verwendet und gemeinsam mit Lina Droste in Buchform veröffentlicht. „Die Würde des Menschen ist abschiebbar - Einblicke in Geschichte, Bedingungen und Realitäten deutscher Abschiebehaft“ ist wissenschaftliche Analyse und politischer Aktivismus zugleich. Das Buch ist im Sommer 2021 in der „edition assemblage“ erschienen.

In seiner Lesung erklärte Nitschke nach einem Blick auf die über 100-jährige Praxis, aus welchen Gründen Abschiebehaft verhängt werden kann. Die Erfahrungen von Häftlingen, die vom Kampf im Behördendschungel berichten, regten zur Diskussion an. Dabei sei das Asylrecht schon in der Bibel und in der Menschenrechtskonvention verankert, erklärte Pfarrerin Adelheid Zühlsdorf-Maeder von der Evangelischen Erwachsenenbildung des Kirchenkreises Tecklenburg.

Schlechte Haftbedingungen, miserables Essen, fehlende soziale Beratung, mangelhafte ärztliche Betreuung, Freiheitsentzug, Schikanen bis hin zu Gewalt, rassistische Anfeindungen, Anordnung von Isolationshaft aus nichtigen Gründen und vieles mehr machen den Insassen das Leben schwer. „Wir sind keine Straftäter, wir hatten uns nur ein Leben in Sicherheit erträumt“, sagte einer von ihnen. Die Seelsorge lasse ebenfalls zu wünschen übrig, so Nitschke. In Darmstadt kamen einmal in der Woche ein Pfarrer und ein Imam von außen, die Religionsausübung wurde jedoch nicht aktiv verhindert. Bemühungen der Geflüchteten, Deutsch zu lernen, eine Arbeit zu suchen oder Beratungsangebote wahrzunehmen, würden nicht anerkannt.

Langeweile sei ein großes Problem, denn Beschäftigungsmöglichkeiten und Bewegungsfreiheit seien stark eingeschränkt. Auch Suizid-Versuche kamen vor. „Bei dem Thema gibt es kein Happy End“, betonte Sebastian Nitschke. Er zitierte aus dem Tagebuch von Oman, der in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren inhaftiert war. Dort bekam der Flüchtling Medikamente, die er nicht wollte, wurde in Isolationshaft genommen und sah sich behandelt wie ein Krimineller.

Die Ausstellung „Menschen & Rechte sind unteilbar“ im Dietrich-Bonhoeffer-Haus kann noch bis zum 24. Juni 2022 zu den Öffnungszeiten besucht werden.

Text: Brigitte Striehn

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