Im ersten Teil seines Vortrags beschrieb Ost den aktuellen Stand der Kirchenaustritte: War man bisher davon ausgegangen, das 2/3 des Rückgangs auf demografischem Wandel beruhte, so habe sich das aktuelle Bild in den letzten Jahren deutlich geändert: Die Kirchen verlören mittlerweile mehr Mitglieder durch Austritte als durch den demografischen Wandel. Die Projektion der Mitgliederentwicklung des Forschungszentrums Generationenverträge (sog. Freiburger Studie) von 2017, nach der sich bis 2060 die Zahl der Mitglieder der Evangelischen Kirche von Westfalen mehr als halbieren wird, könnte schon bald Makulatur werden. Die Austrittquote hat sich in den letzten 20 Jahren von 0,5% auf rund 1% verdoppelt. Und erstmals 2021 zählte sich weniger als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland zu einer christlichen Kirche (Katholische Kirche 26%, Evangelische Kirche 23,7 %).
Die Gründe für Kirchenaustritte sind von verschiedenen Seiten beleuchtet: Traditionsabbrüche in den Familien und die Missbrauchsskandale in den Kirchen seien zwei Gründe für sinkende Mitgliederzahlen in den christlichen Kirchen, sagt die Theologin Margot Käßmann, ehemalige Ratsvorsitzende der EKD.
Und Ost weiter: „Der Kirchenaustritt ist nicht einfach nur Ausdruck eines spontanen Ärgers, sondern hat seinen Grund darin, dass Glaube und Religion immer mehr Menschen gleichgültig sind. Die religiöse Indifferenz, die Individualisierung und Pluralisierung sind entscheidende Faktoren. Das wird gerade in der Evangelischen Kirche deutlich. Die Relevanz von Kirche hat sich für viele Menschen deutlich abgeschwächt“.
In einer groß angelegten repräsentativen Untersuchung des sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD zeigten sich im wesentlichen folgende Gründe für den Kirchenaustritt:
Nur selten begründe ein konkreter Anlass die Entscheidung zum Kirchenaustritt, die Entfremdung zur Kirche sei vielmehr ein Prozess. Der Religionssoziologe Detlef Pollack aus Münster analysiert: „Heute müssen Gründe mobilisiert werden, warum man in der Kirche ist, während früher Gründe für den Austritt gesucht werden mussten.“
Wie kann die Kirche darauf reagieren? Man könne einiges lernen von der evangelischen Kirche in den östlichen Bundesländern, so Ost. Die habe es geschafft, bei sehr kleinen Gemeindemitgliederzahlen eine Vielzahl von Kirchen zu erhalten und „Kirche im Dorf“ zu leben als sichtbarer, offener Ankerpunkt. Mit Blick auf 2030 gelte es, mit weniger Ressourcen trotzdem wirksam Kirche zu gestalten. Dazu gehöre die Antwort auf die Frage, wie man die Menschen erreicht und was sie von Kirche brauchen. Dazu gehöre aber auch eine Veränderung der Rolle des Pfarrdienstes und die Stärkung des Ehrenamtes. Auch im Kirchenkreis Tecklenburg gebe es eine Vielzahl von Kooperationsmöglichkeiten, sei es im Pfarrdienst, bei Gottesdiensten, im kirchlichen Unterricht oder beim Gebäudemanagement. Zwangsfusionen zu Großgemeinden seien sicherlich nicht der richtige Weg. Was vor Ort bleiben wolle, solle leben können, betonte der Superintendent. Dazu gehöre auch die Weiterentwicklung und Stärkung von ökumenischen Kooperationen.
Nicht das objektive Kleinerwerden der Kirche sei das eigentliche Problem, sondern die damit allzu oft verbundene innere Haltung der Resignation. Denn im praktischen Gemeindealltag gehe es um die Frage, wie wir trotz der Situation, in der wir leben, motivierte und begeisterungsfähige Christen bleiben können und wie unsere Verkündigung fröhlich bleibt. Wichtig sei, so Ost, dass die Kirche das Kleinerwerden akzeptiere. Sie dürfe dabei aber nicht resignieren und man müsse wieder lernen, gut über die Kirche zu reden. Dazu gehöre auch, neben dem Sonntagsgottesdienst Berührungspunkte mit Kirche im Alltag zu schaffen über die Präsenz im öffentlichen Raum durch Seelsorge, Diakonie, Kinder- und Jugendarbeit und Bildungsarbeit.
Die anschließende lebhafte Diskussion machte deutlich, wie wichtig es ist, den Kontakt zu den Menschen zu halten. Am Ende dankten die zahlreichen Zuhörer mit herzlichem Applaus.
Text: Dr. Karl Wilms