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„Eher Isolierung statt Integration“ - Superintendent André Ost und Pastor Reiner Ströver besuchen Flüchtlingsunterkunft

Nicht nur positiv beeindruckt waren der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Tecklenburg, André Ost, und Pastor Reiner Ströver, Flüchtlingsbeauftragter des Kirchenkreises, von der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) in Ibbenbüren. Beide besuchten kürzlich die Einrichtung, um sich einen persönlichen Eindruck von der Unterkunft zu machen, die in der Spitze bis zu 900 Flüchtlinge beherbergen soll. Ein Interview von Sabine Plake.

Warum war Ihnen ein Besuch in der ZUE wichtig?

Wir sind im Kirchenkreis sehr aktiv in der Flüchtlingsarbeit. Es gibt den runden Tisch „Asyl und Integration“, wir haben mit Pastor Ströver extra einen Synodalbeauftragten für die Flüchtlingsarbeit. Das Thema ist uns wichtig. Die ZUE ist hier vor der Haustür. Es gibt aktuell ein Positionspapier der Evangelischen Kirche von Westfalen, das heißt „Ich bin fremd gewesen, und Ihr habt mich aufgenommen“, mit dem wir uns 2019 intensiv beschäftigen werden. Unser Thema: Wie sehr bewegt uns Migration? Was macht das mit uns? Was macht das mit unserer Kirche?

Was war Ihr Eindruck von der ZUE?

Es gab positive, aber auch negative Eindrücke. Schon im Vorfeld hat uns das Prozedere etwas irritiert. Sie müssen sich anmelden, sie bekommen einen Termin, sie müssen sich ausweisen. Die Einrichtung selbst vermittelt Geschlossenheit. Sie hat einen Zaun, es gibt den Sicherheitsdienst, die Verwaltung auf dem Gelände ist noch mal extra geschützt. Für mich hat die ZUE Lagercharakter. Ich befürchte dort eher die Isolierung von geflüchteten Menschen, als dass sie integriert werden.

Als die Verantwortlichen merkten, wie wir reagierten, haben sie das erklärt: Es dient natürlich der Sicherheit, um die Geflüchteten auch vor fremdenfeindlichen Übergriffen zu schützen. Auf der anderen Seite muss man sich vorstellen, wie sich die dort lebenden Menschen vorkommen. Die ZUE schottet sich ab – auch gegenüber der Bevölkerung. Ehrenamtliche Helfer kommen da nicht rein. Der Kontakt zur Zivilgesellschaft wird erschwert.

Was glauben Sie, macht das mit den Menschen?

Diese lagerhafte Situation verschärft meiner Meinung nach die Situation für die Geflüchteten. Der Aufenthalt dort droht zu einem Ort der Perspektivlosigkeit zu werden. Zudem dauern die Verfahren ja recht lange. Sie müssen dort Anträge ausfüllen, bekommen Bescheide, viele von ihnen müssen zurückkehren. Sich irgendwie zu integrieren wird ihnen doch unmöglich gemacht. Gleichzeitig will man aber die Verfahrensdauer laut Asyl-Stufenplan auf bis zu 24 Monate verlängern. Und diese 24 Monate verbringen die Menschen in dieser Einrichtung.

Sie haben sich die ganze Einrichtung angeschaut?

Ja, wir wurden durch alle Bereiche und Zimmer geführt. Es ist gut, dass die alten Container durch neue ersetzt wurden. Die Menschen werden in Acht-Bett-Zimmern untergebracht, einige in Vier-Bett-Zimmern.

Ich bin ein fröhlicher Mensch, aber 24 Monate in solch einem Vier-Bett-Zimmer, das würde mich runterdrücken, da würde sich Perspektivlosigkeit einstellen. Und zwei Drittel von den Menschen in der ZUE sind ohne Bleiberechtsperspektive, wissen, sie haben keine Chance. Das andere Drittel sind Flüchtlinge mit Bleiberechtsperspektive. Das birgt doch Zündstoff.

Es hat schon mal Bestrebungen gegeben, mehr Transparenz auch nach außen zu erzielen?

Ja, in einer der Versammlungen zur ZUE, an der auch die Nachbarn teilnahmen, gab es die Anregung, einen Beirat zu gründen mit unterschiedlichen Beteiligten, beispielsweise den Nachbarn, der Flüchtlingshilfe, den Kirchen. Dieser soll dann auch die Öffentlichkeit informieren. Dann wüsste man auch, dass wenn fünfmal am Tag die Polizei anrückt, sie dort Präsenz zeigt und nicht zu einem Einsatz fährt.

Wie haben Sie die Verantwortlichen erlebt?

Alle sind sehr engagiert, die Bezirksregierung, die Leitung des DRK, das Begegnungszentrum für Ausländer und Deutsche. Alle haben dort das Wohl der Menschen im Blick.

Sie haben eher Kritik an der Politik?

Ja, es geht um die politischen Verfahren. Es erschüttert mich, wenn Menschen, insbesondere Kinder, dort sechs bis 24 Monate leben müssen und das in einer schlichten Unterkunft, von der Zivilgesellschaft abgekoppelt. Das ist nicht Integration. Das fördert meiner Meinung nach auch fremdenfeindliche Einstellungen. Zudem haben die Kinder derjenigen, die keine Aussicht auf ein Bleiberecht haben, keine Schulpflicht. Das finde ich problematisch, dass Kinder dann gegebenenfalls zwei Jahre nicht beschult werden.

Da könnte man auch mal fragen, ob das nicht der UN-Kinderrechtskonvention widerspricht. Ich hoffe, dass sich hier etwas ändert. Ich bin ganz stolz auf unseren Staat mit der freien Meinungsäußerung, der freien Religionsausübung, Gleichheit. Aber ich finde, schon jetzt hat Deutschland ein Drei-Klassen-System bei den Flüchtlingen. Erstens: die Integrierten. Zweitens: die Flüchtlinge mit einer Duldung, dort ist unter anderem die Schulpflicht geregelt. Drittens die ärmsten der Armen. Sie bekommen nicht die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern Taschengeld und Sachleistungen. Sie dürfen in der Einrichtung keinen Besuch empfangen. Sie dürfen keine Schule besuchen. Es gibt viele Kranke dort oben, traumatisierte Männer und Frauen. Aber sie bekommen nicht die gleiche gesundheitliche Versorgung wie wir und schon gar nicht psychologische Hilfe. Da fehlt es an Unterstützung. Was ich zudem nicht in Ordnung finde, sind die nächtlichen, unangekündigten Abschiebungen, die ja auch andere mitbekommen. Muss das sein?

Sie haben auch Zweifel, ob die unabhängige Beratung in der ZUE richtig angesiedelt ist.

Die ZUE ist sehr behördlich strukturiert. Dort gibt es den staatlichen Auftrag, möglichst schnell eine Entscheidung im Asylverfahren bzw. über die Rückführung zu treffen. Das Problem: Die unabhängige Beratung, angeboten vom Begegnungszentrum für Ausländer und Deutsche, sitzt auf dem gleichen Flur. Diese soll allerdings beraten, welche Möglichkeiten auf Asyl es gibt, ob alle Wege ausgereizt sind, sie vermittelt auch einen Anwalt. Das sind völlig unterschiedliche Interessen. Ich habe schon von Bewohnern gehört, dass es dort oben nur heißt: Da ist das Regierungsgebäude. Da muss ich hin, wenn ich einen Anranzer bekomme, da werde ich auf die freiwillige Rückkehr hingewiesen oder auf meine Abschiebung aufmerksam gemacht. Die meisten wissen vielleicht gar nicht, dass da auch noch welche sind, die tatsächlich ihre Interessen vertreten.

Da stellt sich die Frage, wie unabhängig ist die unabhängige Beratung wirklich?

Die Arbeit wird dadurch erschwert, dass für die Gespräche notwendige Berater und Dolmetscher erst bei der Bezirksregierung angemeldet werden müssen. Ein Handicap ist ebenfalls, dass die Verfahrensberater keine aufsuchende Arbeit machen dürfen, sondern darauf angewiesen sind, dass die Leute zu ihnen kommen.

Was sollte sich ändern?

Wir brauchen zur Lösung des Flüchtlingsproblems in unserem Land ein Einwanderungsgesetz und die Solidarität der europäischen Staatengemeinschaft. Von Gewalt und Terror bedrohten Menschen muss geholfen werden. Die Unterbringung von Flüchtlingen sollte überwiegend dezentral sein, der Aufenthalt in solchen Einrichtungen auf kurze Zeiträume beschränkt bleiben. Sonst gelingt uns keine Integration.

 Mit freundlicher Genehmigung: Ibbenbürener Volkszeitung, 29.12.2018 - Sabine Plake (Autorin)©ivz.medien GmbH & Co. KG, alle Rechte vorbehalten.

 

 

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