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Bestattungskultur im Wandel - Dr. Karl Wilms referiert in Rheine

"Stirbt der Friedhof? – Warum wir anders mit den Toten umgehen“ war im November Thema des Jakobi-Treffs "Kirche und Welt". Dr. Karl Wilms, Vorsitzender des Friedhofsausschusses der Ev. Kirchengemeinde Jakobi Rheine, referierte.

Die Friedhöfe würden nicht sterben, so Wilms, aber sie bräuchten eine Therapie: Statt mehr Regulierungen sei es zukunftssicherer, die Menschen einfach zu fragen: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Was muss geschehen, damit das, was die Fachleute Aufenthaltsqualität nennen, verbessert wird? Noch scheiterten Reformen immer wieder an starken Widerständen, doch die Erfahrungen in unseren Nachbarländern zeigten, dass ein Zurückfahren der Regulierung die Akzeptanz der Friedhöfe erhöht.

Die Auswirkungen des Wandels sind jetzt schon erkennbar

„Wenn sie den gesellschaftlichen Wandel verschlafen, sind die Friedhöfe in ihrer jetzigen Form ein Auslaufmodell. Die Menschen wollen sich einbringen, wollen gestalten – und werden stattdessen Teil eines Verwaltungsprozesses, der genau das unmöglich macht. Noch beugen sich viele den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen. Aber die Auswirkungen des Wandels sind jetzt schon erkennbar und werden in den kommenden Jahrzehnten in ihrer ganzen Wucht spürbar.“

Der Anteil der Feuerbestattungen liegt heute bei ca. 68%

Im Mittelalter sei das Friedhofswesen fest in kirchlicher Hand gewesen und alle Verstorbenen seien begraben worden, meist auf Friedhöfen rund um die Kirchen. Totenfürsorge sei als eines der sieben Werke christlicher Barmherzigkeit gesehen worden. Erst im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich sehr langsam eine Bewegung zur Feuerbestattung. Das erste Krematorium wurde 1878 in Gotha eingerichtet, danach in Hamburg und Heidelberg. Während sich die Evangelische Kirche neutral verhielt, wurden Feuerbestattungen durch die katholische Kirche 1885 verboten. Erst 1934 durch das Feuerbestattungsgesetz der Nationalsozialisten wurden Erd- und Feuerbestattung gleichgestellt und Regelungen wie die noch heute gültige zweite ärztliche Leichenbeschau vor der Einäscherung eingeführt. Während 1960 der Anteil der Feuerbestattungen in Westdeutschland noch bei 10% gelegen hat (in der DDR bei ca. 85%), lag er der Anteil 1992 bei 27 % und heute bei ca. 68%.

Die klassische Familiengrabstätte verliert ihre Bedeutung

Für die Friedhöfe bedeutet dies einen erheblichen Rückgang des Flächenverbrauchs, zudem würden mehr als die Hälfte der Nutzungsrechte an Grabstätten, die im Verlauf eines Jahres enden, nicht mehr verlängert, so Wilms. Zurückzuführen sei dies auf eine Änderung der Familienstrukturen, den gesunkenen Anteil der Mehr-Generationen-Haushalte. Insgesamt ist die Gesellschaft mobiler geworden. Die klassische Familiengrabstätte habe ihre Bedeutung verloren, zudem stünden nach einer Krementierung neben den unterschiedlichen Beisetzungsformen auf einen Friedhof heute weitere Möglichkeiten wie Waldbestattungen, Seebestattungen, Kolumbarien oder Aschestreuwiesen offen.

Ort der Trauer hat heilsame Wirkung

Wilms: „Seelsorglich und psychologisch nachgewiesen ist allerdings, dass mit der „Ortlosigkeit der Trauer“ später erhebliche Probleme auftauchen können. Ein konkreter Erinnerungsort, ein identifizierbarer Grabstein, ja schon ein umgrenzter Bereich auf einem Friedhof haben für nicht wenige Menschen zentrierende und darum heilende Bedeutung.“

Schutz und Bewahrung der Totenwürde sind gesetzlich geregelt

Eine weitere Entwicklung sei, dass die Kirche ihr Monopol im Bereich der Bestattungsrituale und Trauerbegleitung verloren habe. Bestatter als qualifizierte Dienstleister mit erheblichem Konkurrenzdruck entwickelten eigene Qualitätsmerkmale und zeigten hohe Innovationsbereitschaft im Umgang mit individuellen Wünschen. Gesetzlich geregelt ist das Bestattungswesen in bundeslandspezifischen Bestattungsgesetzen. Dabei liegt das besondere Augenmerk auf dem Schutz und der Bewahrung der Totenwürde. Dieser Schutz leitet sich aus der Unantastbarkeit der Würde des Menschen aus § 1 des Grundgesetzes ab, der über den Tod hinaus gilt. Dabei zeichne sich eine fortschreitende Liberalisierung ab, die langfristig wohl auch im Zuge europäischer Harmonisierung eine Auflösung des Friedhofzwanges ergeben werde, meinte Wilms.

Die anschließende Diskussion machte unterschiedliche Standpunkte deutlich. Die zahlreichen Zuhörer dankten dem Referenten mit herzlichem Applaus.

 

 

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